UX UND UI FÜR ÄLTERE NUTZERGRUPPEN

Ein Accessibility Reminder

Accessibility ist in der Produktentwicklung ein wichtiges Thema, das immer berücksichtigt werden sollte. Am Beispiel älterer Nutzer wollen wir mit dem Beitrag zeigen, welche Bereiche es besonders zu berücksichtigen gilt.

 

Wieso überhaupt ältere Nutzergruppen berücksichtigen?

Die Personengruppe der über 60-Jährigen ist eine der am schnellsten wachsenden demographischen Gruppen überhaupt. Schätzungen der UN zufolge wird sich die Zahl der über 60-Jährigen von ca. 1 Milliarde im Jahr 2020 auf ca. 2,1 Milliarden Menschen im Jahr 2050 verdoppeln. Dennoch kommt es häufig vor, dass sie bei digitalen Themen und Informationstechnologien nicht oder nur am Rande berücksichtigt werden.

Vor dem Hintergrund, dass ältere Menschen bereits jetzt und besonders in naher Zukunft eine der größten Kunden- und Nutzergruppen darstellen, soll dieser Artikel Informationen und Guidelines für UX und UI Designer, Consultants und Spezialisten geben. Ziel ist es, die alle Aspekte der Accissability bereits in der Entwicklung zu berücksichtigen und inkludierend zu designen.

 

Das Älterwerden und seine physiologischen und kognitiven Veränderungen.

Älterwerden geht häufig mit bestimmten physiologischen und kognitiven Veränderungen einher. Obwohl viele der über 60-Jährigen fast ihr ganzes Erwachsenenleben mit Technologien, die wir heute kennen, befasst waren, müssen diese physiologischen und kognitiven Veränderungen trotzdem kompensiert werden. Veränderungen betreffen vor allem die visuelle und auditive Wahrnehmung, die motorischen Fähigkeiten und die Gedächtnis- und Informationsverarbeitung. Werden ältere Personengruppen bereits in den Design- und Validierungsprozess inkludiert, umgeht man möglicherweise weitere aufkommende Iterationen, die vor allem auf das Thema Accessibility abzielen.

 

Handlungsempfehlungen im Umgang mit Accessibility.

Die folgenden Empfehlungen sind streng genommen Usablity und Accessibility Grundlagen, die ohnehin Berücksichtigung finden sollten, da Sie die User Experience jedes Nutzers in gewisser Weise verbessern.

Die wichtigsten Punkte zählen wir hier nochmals auf:

 

Allgemeine Best Practices:

  • Keine vom Nutzer festgelegten Systemeinstellungen automatisch überschreiben (z.B. Farbschemata, Schriftgrößen, Schriftarten)
  • Anzeigeoptionen für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen integrieren (Kontrasteinstellungen, Schriftart- und Schriftgrößeneinstellungen, Farbeinstellungen, Bewegungen und Animationen reduzierbar machen)
  • Anbieten von (geschlossenen) Untertiteln für Audio und Videoinhalte
  • Klickbare Elemente verständlich labeln
  • Auf komplexe Gestensteuerung mit mehr als zwei Fingern verzichten und stattdessen einfache Gesten bevorzugen (horizontale, vertikale oder diagonale Bewegungen)
  • Website und App vor Launch mit einem Screenreader testen
  • Einfache, selbsterklärende und kurzgefasste Sprache verwenden

 

Schrift:

  • Mindestens Schriftgröße 9 (12px) verwenden, im besten Fall jedoch Schriftgröße 12 (16px)
  • Serifenlose Schrift nutzen, weil sie einfacher zu lesen ist (z.B. Roboto, Helvetica, Arial, Futura, Avant Garde oder Verdana)
  • Auf mehrere Schriftarten und verdichtete Schrift verzichten

 

Farben:

  • Starke Farbkontraste wählen
  • Rote-Grün Farbkombinationen verzichten, weil sie die am schwersten zu unterscheidenden Farben bei Farbenblindheit sind
  • Interfaces und Designs mit Graustufenkonvertierer und Sehbehindertensimulator auf Lesbarkeit testen, im Internet gibt es dazu einiges an Simulationsmöglichkeiten

 

Design & Layout:

  • Elemente gezielt mit Whitespace und Freiflächen voneinander abheben
  • Breadcrumb-Navigation verwenden
  • Keine blinkenden, flackernden oder automatisch scrollende visuelle Elemente verwenden
  • Konsistenz in Layout und Aufgabenabläufen halten
  • Skalierbarkeit von Elementen, die zum Lesen oder Anklicken gedacht sind anbieten
  • Feedback zu Fortschritt und Fertigstellung anzeigen lassen (z.B. bei Formularen)

 

Annahmen Vermeiden:

  • Für uns gängige Symbole und Zeichen sind möglicherweise unbekannt und deren Funktion unklar (wie z.B. das Hamburger-Menü)
  • Für uns gebräuchliche Aktionen, wie z.B. Scrollen oder Drag & Drop, oder gängige Abkürzungen und Internet-Jargon sind möglicherweise unbekannt
  • Erfahrung mit neuen Technologien nicht annehmen/erwarten. Zeit nehmen, ein Interface grundlegend zu erklären (Tutorials, Erklärvideos)

 

Fazit:

Im Allgemeinen kann das Befolgen von Accissability Best Practices und Usability-Richtlinien viel dazu beitragen, Produkte für alle Nutzergruppen, unabhängig vom Alter oder von körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen (altersbedingt oder anderweitig), zugänglich zu machen.

Wenn die Hauptnutzer einer Anwendung vor allem ältere Erwachsene sind, dann sollten Designer unbedingt alle gängigen Richtlinien befolgen und immer im Hinterkopf behalten, für wen gerade ein Produkt entworfen wird. Oben angesprochene Aspekte wie größere Schriftarten, intuitivere und übersichtliche Oberflächenelemente, klare Formulierungen und hilfreiche Tipps zur Funktionalität wird die User Experience in jedem Fall deutlich verbessern. Ältere Nutzer sollten darüber hinaus bei Nutzertests inkludiert werden, um ein ganzheitliches Bild zu bekommen. Dadurch erhält man wichtige Einblicke in die kognitiven Prozesse der Nutzer sowie in deren körperliche Einschränkungen.  Außerdem haben ältere Nutzer möglicherweise andere Nutzungsmuster und Bedürfnisse bei der Nutzung einer Anwendung. So können Interface Probleme sichtbar gemacht werden, auf die man normalerweise nicht aufmerksam geworden wäre.

Heutzutage findet ein großer Teil unseres Lebens online statt. Terminvergaben, Formulare für verschiedenste Anträge, Informationssuche oder auch einfach nur die Buchung einer Reise. Um ältere Erwachsene und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen nicht von diesem Leben zu exkludieren, sollten Interfaces so gestaltet werden, dass sich jede Person auch ohne viel Vorwissen und Erfahrung gut zurechtfinden kann.

Jonas Hamburger

Jonas Hamburger

Als Psychologe ist Jonas Experte darin, sich in die Lage von Nutzerinnen und Nutzern versetzen. Sein hohes Empathievermögen und seine ausgeprägte Auffassungsgabe helfen ihm dabei, Bedürfnisse bei der Nutzung von Produkten schnell zu erfassen und zu verstehen.