Eine ethnographische Studie bietet sich immer besonders dann an, wenn die genauen Benutzerbedürfnisse im alltäglichen Nutzungskontext ermittelt werden sollen. Viele Probleme treten häufig erst im realen Nutzungsumfeld auf, wenn weitere Faktoren die Nutzung beeinflussen.
Umfragen oder klassische Interviews helfen hierbei nicht weiter, da dort lediglich Meinungen und Ansichten von Nutzern abgefragt werden können, jedoch kein Einblick in die wirkliche Nutzung von Produkten und Systemen im personalisierten Umfeld möglich ist. Doch gerade dieser Einblick ist für Unternehmen von entscheidender Bedeutung, um Produkte zu entwickeln, die auf dem Markt angenommen werden und die wahren Bedürfnisse und Probleme der Nutzer ansprechen. Denn was Menschen sagen, dass sie tun, ist oftmals nicht das, was sie wirklich tun.
Der polnische Ethnologe Bronisław Malinowski konnte sich wohl kaum vorstellen, dass knapp hundert Jahre nach Veröffentlichung seines erfolgreichen Werks „Argonauten des westlichen Pazifiks“, in dem er das alltägliche Leben der Einwohner auf den Trobriand-Inseln beschreibt, seine genutzten Methoden dafür verwendet werden, um Smartphone Apps und Unternehmenswebseiten zu optimieren.
Das Vorgehen bei ethnographischen Studien, das heutzutage im UX Bereich angewendet wird, unterscheidet sich dabei in einigen Punkten von der klassischen ethnographischen Forschung:
Malinoswki prägte den Begriff des „native’s point of view“. Damit wollte er verdeutlichen, wie wichtig es ist, bei ethnographischer Forschung die Dinge aus Sicht der „Informanten“ zu sehen und nicht voreingenommen die beobachteten Informationen zu interpretieren. Dieser Ethnozentrismus, also das Betrachten anderer Kulturen aus der eigenen erlernten und als überlegen angesehenen Sichtweise, ist dabei auch in der UX Ethnographie zu vermeiden. Stattdessen sollte man stets versuchen, die Sicht der Nutzer einzunehmen (emische Perspektive) und Produkte anhand realer Nutzungsbeobachtungen zu entwickeln.
Datenerhebung durch teilnehmende Beobachtung
Durch
die Kombination von verschiedenen Methoden wie dem ethnographischen
Interview, der teilnehmenden Beobachtung, dem Anfertigen von Fotos und
Videoaufnahmen und der kontinuierlichen Aufzeichnung von Notizen lässt
sich während dem Feldaufenthalt ein umfassendes Bild der
Forschungssituation festhalten.
Die teilnehmende Beobachtung bildet dabei das Kernstück der ethnographischen Studie. Sie verbindet die Methoden des klassischen Interviews und der klassischen Beobachtung, indem der Forscher mit dem Forschungsteilnehmer interagiert und ihm während der Nutzung der Produkte oder Systeme Fragen stellt. Dadurch kann zum einen beobachtet werden, wie der Nutzer in seinem natürlichen Nutzungskontext mit einem Produkt oder System umgeht und zum anderen kann sich der Forscher bestimmte Dinge erklären lassen, die er bei einer reinen Beobachtung eventuell falsch interpretiert hätte.
Durch das Anfertigen von Fotos, Videos, Audioaufnahmen und klassischen Notizen, kann der Forscher schließlich ein umfassendes Bild der Nutzungssituation aufzeigen und für die spätere Auswertung heranziehen.
Der Ethnologe James P. Spradley nennt für eine soziale Situation drei grundlegende Dimensionen, die vorgefunden werden können:
So gibt es bei jeder ethnographischen Forschung einen Ort, an dem geforscht wird, die Akteure, die sich an diesem Ort befinden und die Aktivitäten, die von den Akteuren ausgeführt werden. Durch einen besonderen Fokus auf diese grundlegenden Dimensionen können bei der Vielzahl an Sinneseindrücken, denen man in der Forschungssituation ausgesetzt ist, gezielte Beobachtungen durchgeführt werden.
Der Nutzen für Unternehmen
Eine
ethnographische Studie bietet viele Vorteile für Unternehmen, da sie
direkt das alltägliche Handeln der Nutzer aufzeigt und statt lediglich
Meinungen auch das Verhalten dokumentiert, das für die Erforschung
realer Bedürfnisse und Probleme bei der Nutzung von Produkten von
entscheidender Bedeutung ist.
Weitere Vorteile: