Internationale Ethnographische Studien

Auch ohne Sprachkenntnisse internationale Nutzer verstehen

Internationale Firmen versuchen vermehrt auf die individuellen kulturellen Eigenschaften der einzelnen Absatzmärkte einzugehen. So haben wir beispielsweise für ein Unternehmen aus den USA das Fernsehverhalten der Deutschen erforscht oder für eine europäische Bank herausgefunden, wie hierzulande das Thema Sparen behandelt wird. Für eine erste Grundlagenstudie eignete sich dabei besonders die Ethnographische Studie, um Land und Leute besser kennenzulernen und die lokalen Umstände in die Produktentwicklung einfließen zu lassen.

Bei diesen und weiteren Ethnographischen Studien, die wir mit internationalen Produktteams durchführen konnten, haben wir einige Erfahrungen sammeln können, die wir hier nun gerne teilen möchten:

1.      Rollen vor Ort: Es bietet sich besonders an, dass neben dem Moderator, der die lokale Sprache beherrscht, ein bis zwei Mitglieder des internationalen Unternehmens an der Feldphase teilnehmen. Somit ist sichergestellt, dass die lokalen Eindrücke persönlich durch das Produktteam aufgenommen werden können und somit eine ganz andere Ebene der Empathie entsteht, als wenn lediglich auf den fertigen Bericht zurückgegriffen wird. Dies wurde uns auch immer wieder von Kundenseite bestätigt. Da die Mitglieder des Produktteams im Normalfall die lokale Sprache nicht sprechen, werden Sie den Teilnehmern vom Moderator kurz vorgestellt und halten sich sonst eher im Hintergrund. Meist haben unsere internationalen Projektteilnehmer jedoch Fotos und Notizen gemacht, sowie Nachfragen an den Moderator weitergegeben. Manche Teilnehmer trauen sich jedoch auch zu, direkt auf Englisch zu antworten, was einen natürlichen Austausch bezüglich eventueller Nachfragen ermöglicht.

2.      Dolmetscher: Damit das internationale Produktteam auch versteht, was die Teilnehmer erzählen, begleitet uns stets ein Dolmetscher, der live vor Ort das Gespräch simultan übersetzt. Die Situation ist im ersten Augenblick für manche Teilnehmer ein bisschen ungewohnt, da ihre Aussagen im selben Raum leicht versetzt noch einmal übersetzt werden, jedoch gewöhnen sich die Leute relativ schnell an die Situation. Damit die Übersetzung jedoch nicht stört, sollte der Dolmetscher eine gute Balance finden, damit die internationalen Teammitglieder dem Gespräch leicht folgen können, die Teilnehmer sich jedoch nicht durch die Lautstärke der Übersetzung gestört fühlen. Hier ist es auch hilfreich, wenn im Voraus vereinbart wird, dass sich Dolmetscher und internationale Kunden eng zusammensetzen.

3.      Technik: Vorab klären wir zudem, welche Tonspuren im Videomaterial enthalten sein sollen. Häufig ist für das internationale Team lediglich die übersetzte Tonspur des Dolmetschers interessant. Da das normale Mikrofon einer Videokamera alle Geräusche im Raum gleichermaßen aufnimmt, ist es in diesem Fall empfehlenswert, ein Lavaliermikrofon zu nutzen. Dieses Mikrofon hält sich der Dolmetscher dann direkt vor den Mund, damit möglichst nur seine Übersetzung aufgenommen wird und das Originalgespräch nur leicht im Hintergrund angedeutet zu hören ist. Alternativ kann der Dolmetscher auch in ein Aufnahmegerät sprechen. Diese Audiospur verbinden wir dann nachträglich per Videoschnittsoftware mit dem Videomaterial. Das Gespräch zeichnen wir zudem immer mit einem zusätzlichen Aufnahmegerät im Originalton auf, damit Details, die eventuell in der Übersetzung verloren gegangen sind, notfalls noch einmal abgerufen werden können.

Eine Ethnographische Studie kann somit durch ein wenig Vorbereitung auf verschiedene Länder übertragen werden und dem Produktteam wertvolle Einblicke in die Welt der Nutzer direkt vor Ort liefern, die durch bloße Videoaufzeichnungen nicht zu vermitteln wären. Durch ein weltweites Forschungsnetzwerk, wie das von Facit gegründete UX Fellows Netzwerk, können Studien durch bewährte Partnerschaften mit Forschungseinrichtungen vor Ort schnell auf andere Länder übertragen werden.

Michael Wörmann

Moritz Flues

Moritz interessiert sich besonders für ethnographische Forschungsansätze, bei denen der Nutzungskontext der Anwender in den Fokus gerückt wird. Die Beobachtung und Hinterfragung der individuellen Verhaltensweisen sieht er dabei als zentralen Aspekt in der User Experience Forschung.